Lehre (Sommersemester 2005)

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ProseminarSchrift und Semiotik (Mittwoch 14-16 Uhr)
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Proseminar Schrift und Semiotik (Mittwoch 14-16 Uhr)
Das Material, mit dem die Zeichen hervorgebracht werden, ist gänzlich gleichgültig, denn es berührt das System nicht […]; ob ich die Buchstaben weiss oder schwarz schreibe, vertieft oder erhöht, mit einer Feder oder einem Meißel, das ist für ihre Bedeutung gleichgültig, schreiben die Verfasser von Saussures Cours de linguistique gönörale (S. 143). Dieses Diktum hat die moderne Linguistik dankbar aufgegriffen. Schrift galt im Folgenden lediglich als sprachliche Repräsentationsform bar jedes eigenen Aussagewerts. Die konkrete Form, in der ein sprachliches Phänomen daherkommt, wurde der parole zugerechnet, die man - nach Saussure - bei linguistischen Analysen getrost vernachlässigen könne. In den letzten Jahren allerdings ist diese Auffassung, in der Nachfolge neuer Disziplinen wie der Medien- und Schriftlinguistik, zunehmend in Frage gestellt worden. Mit Blick etwa auf Werbeanzeigen wurde darauf hingewiesen, dass die Textgestalt und auch das Trägermedium (Papier, Bildschirm) die Interpretation eines Textes nachhaltig beeinflussen können, nicht nur, wenn so historisch aufgeladene Schriftarten wie Fraktur (altdeutsch) oder Egyptienne (wildwest) zum Einsatz kommen. Diese Erkenntnis, die in der Typographie schon lange als common sense gilt, hat tief greifende Konsequenzen für unsere Vorstellung von Sprache: Wie lässt sich etwa die Beobachtung, dass das Wort Freiheit in Fraktur oder Egyptienne anders wirkt als in Grotesk, semiotisch fassen? Können wir Texte ohne Berücksichtigung ihrer konkreten Gestalt überhaupt interpretieren?
Das Proseminar versucht, diesen Fragen systematisch auf den Grund zu gehen. Wir beschäftigen uns dabei u.a. mit der Geschichte unseres alphabetischen Schriftsystems, den Ursachen für die Schriftblindheit der Linguistik, mit semiotischen Modellen, mit Text-Bild-Kombinationen und schliesslich mit der Wissenschaft der Textgestalt, der Typographie. Das Ziel des Seminars sind erste Vorüberlegungen zu einer typographischen Semiotik, einer Zeichentheorie, die auch die konkrete Form mit berücksichtigt.

Einführende Literatur:
Susanne Wehde: Typographische Kultur. Eine zeichentheoretische und kulturgeschichtliche Studie zur Typographie und ihrer Entwicklung. Tübingen 2000 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; 69)
Christa Dürscheid: Einführung in die Schriftlinguistik. 2., überarb. Aufl. Wiesbaden 2004 (Studienbücher zur Linguistik; 8)

Materialien
Proseminar Schrift und Semiotik (Mittwoch 14-16 Uhr)
I. Grundlegende Informationen
II. Online-Quellen zu Typographie und Semiotik